Kurz vor Erreichen der Straße der Kasbahs machen wir einen Abstecher zu einem kleinen Wasserfall, der mangels Regen aktuell eher einem größeren Rinnsal gleicht. Hier treffen wir auf Omar, der, wie auch in unserem Reiseführer beschrieben, ein kleines Freiluftrestaurant betreibt. Er bewirtet uns mit Tee und Tajine. Es ist so entspannt, die Jungs plantschen im Wasser, daß wir stundenlang bei ihm sitzen. Er schnattert offensichtlich auch gern. Wir erfahren erstmal seine Familiensituation (sechs Kinder, vier Enkel), dann seine Ansichten zum Thema Verschleierung (Komplettverschleierung bescheuert, Großstadtmode aber auch). Beim Thema Syrien ist er sicher, Assad wird noch gehängt. Hussein, Gaddafi und Bin Laden haben sie ja auch gekriegt. Zwischendurch kommt eine marokkanische Familie vorbei, später eine Gruppe junger Männer mit Musikinstrumenten. Nach dem Gruppenfoto vor dem Wasserfall legen sie gleich noch ein Ständchen hin, um Hannes für seine Foto-Assistenz zu danken. Omar singt entspannt von seinem Teppich aus mit. Uns fällt wieder auf: ein Haufen Männer und keine einzige Frau dabei.
Omars Frau ist im Dorf am Schaffen, während er tagein tagaus hier am Wasserfall abhängt. Sie lernen wir dann noch kennen. Zum Abschied will uns Omar nämlich gern einen Teppich verkaufen, aber den, der hier rumliegt, wollen wir nicht. Sein Sohn, der gerade vorbei gekommen ist, begleitet uns also zu seinem Haus. Der Ort ist total ursprünglich. Zur Wasserversorgung steht ein Brunnen zur Verfügung und weiter im Tal der Fluß. Die Frau ist gerade mit Feldarbeit beschäftigt, als wir kommen, lächelt aber einladend. Ihr Händedruck ist rau und kräftig. Ich bin ganz aufgeregt, will so gern mal in ein typisches marokkanisches Häuschen reingucken – das Stadthaus von Mustafa in Meknes war ja nicht gerade repräsentativ für den Durchschnitt. Dies hier ist wahrscheinlich absolut typisch für die Landbevölkerung: aus Lehm gebaut, keine Fenster, einstöckig. Neben der Eingangstür hängt der Stromzähler (immerhin). Durch einen Gang geht es in den Innenhof, viereckig, mit Pflänzchen in der Mitte, von dort nach links, rechts und geradeaus führen Türen in lange, schmale Zimmer. Das, was wir betreten, hat drei Einrichtungsmerkmale: rechts einige Teppiche mit zwei oder drei Kissen (darauf hockt das Großmütterchen und guckt interessiert), links ein Schrank mit Geschirr und ein Fernseher. Omars Frau präsentiert ihre Werke, die sie neben Haus- und Feldarbeit von Hand knüpft, der Sohn übersetzt. Und ja, wir kaufen auch einen Teppich. Für den hat sie einen Monat gebraucht. Der Preis liegt deutlich unter meinem Lohn für einen Tag – netto.
Auf der Fahrt zurück zur Hauptstraße sind wir wieder einmal beim Thema: Wie die hier leben! Omars Kinder haben einen Schulweg von einer Stunde – mit dem Fahrrad. Die Kinder im Dorf hängen, wie in allen anderen Orten auch, auf der Straße herum. Das Maximum an Beschäftigung bietet der Fußballplatz, aber auch nur für die Jungs. Jugendliche und junge Männer hocken im Schatten, Mädchen und junge Frauen sieht man hier in der Öffentlichkeit fast gar nicht. Hobbies, Sport, Verreisen, Disco, der erste Freund / die erste Freundin … alles, was wir in dem Alter gemacht haben, ist hier ausgeschlossen. Von Bildung reden wir mal gar nicht – Omars Sohn (etwa 15 Jahre alt) hat Mühe, uns die Teppichpreise mit den Fingern vorzurechnen, kann sie aber auch nicht auf ein Blatt Papier aufschreiben. Und Gleichberechtigung wird von vornherein durch separate, nach Geschlecht getrennte Parallelgesellschaften verhindert. Ich denke wieder, wie schon oft auf unserer Reise, daß ich froh bin, in Deutschland zu leben, froh, daß unsere Kinder dort aufwachsen und alle Möglichkeiten haben, etwas aus ihrem Leben zu machen. Und ich freue mich auf zuhause.