Allah sei Dank fahren wir nach Einbruch der Nacht nach Marrakech hinein. Die Automassen sind erträglich, wir überfahren aus Versehen cirka 20 Lasterverbotsschilder und der Parkplatz in direkter Nähe zur Medina und der berühmten Kutubiya-Moschee ist … na sagen wir mal noch befahrbar. Wir quetschen uns rückwärts an die Mauer zwischen einen PKW und einen einheimischen Laster. Die Berliner finden etwas weiter vorn noch ein Plätzchen. Erstmal pennen, morgen Erkundung der Umgebung und Riad-Suche.
Ab fünf Uhr dann geschäftiges Treiben um uns herum. Der andere Laster wird von Eselkarren aus beladen, auf beständiges Rufen der Männer und gequältes Ih-Ah der Esel folgt alsbald Motorenlärm. Bis wir richtig wach und ausgehfertig sind ist der gesamte Platz zugeparkt. Die Autos stehen in Viererreihen, je nach Größe der Lücke und des Fahrzeugs entweder quer oder längs. Die Parkplatzwächter sind in Besitz sämtlicher Schlüssel und parken eben um, wenn einer raus will. Gut daß wir einen Platz an der Mauer bekommen haben. So können wir unseren Schlüssel behalten. Auf das linke Vorderrad werden mit Kreide drei Kreuze gemalt: drei Tage bezahlt. Macht die Koordination einfacher. Wir planen unsere Abreise in drei Tagen für die Abendstunden und sind so beeindruckt vom Chaosmanagement, daß wir nicht mal ein Foto schießen.
Die Medina, ein Labyrinth aus Souks, in denen es alles gibt – Wunderlampen, Pantoffeln vom Kleinen Muck, Berberschmuck, Berge aus Curry, Koriander und Safran, riesige Kupferbadewannen, antike Silberkessel, Datteln und Feigen, leckerstes Gebäck, Kleidung, Tücher, Teppiche, Lederwaren, Türen, Fenster, Eisentore … ich schweife ab. Dazwischen lauter Schlitzohren, die nach Leibeskräften versuchen, dich über den Tisch zu ziehen. „Sweden?“ „Norway?“ „Ah! Germany!“ Dann ein Kauderwelsch aus allen möglichen Sprachen. Willkommen in Marokko! Wie es gefällt? Wie es geht? Erstes Mal hier? Ob man nicht mal im Shop gucken will? Bei ihm beste Ware, bester Preis. Natürlich. Zwei Phrasen können sie alle: „Alles klar?“ und „Gucken kost´ nix.“ Logisch, viele Touristen kommen per Flieger hierher und dann nicht mehr viel weiter. Hier kaufen sie ihre Andenken und Mitbringsel. Das hat die Preise ganz schön in die Höhe getrieben. Und die Händler nicht nur durchtrieben sondern teilweise richtig aggressiv gemacht. Ist man hartnäckig und beginnt den Handel bei etwa einem Drittel des von ihm genannten Startpreises – was durchaus üblich ist – wird einem schon mal die Ware aus der Hand gerissen und in die Ecke gefeuert. Einer ruft uns laut „Fuck business!“ hinterher. Für eine Öllampe Marke Alladin will ein anderer 300 Dirham (~30 Euro). Hannes will aber nur 60 Zahlen, dafür aber zwei davon kaufen. Da meint er böse, für das Geld könnten wir höchstens `nen Kaffee trinken gehen. Wir gehen weiter. Er kommt hinterhergelaufen. Plötzlich sind die 60 Dirham okay. Aber leider hat er nur noch eine in Silber und eine in Gold (die gehen wohl nicht so gut). Ich schüttel mit dem Kopf (europäische Männer sollen sich ja tatsächlich von ihren Frauen beeinflussen lassen …). Tja, dann nehmen wir nur eine. Er grummelt rum, zieht dann noch `ne zweite Lampe in Silber hervor. Hat er doch noch gefunden. Für die Mühe will er jetzt aber noch mal 10 Dirham extra. So läuft`s. Wir nehmen es mit Humor. Letzendlich zahlen wir 130 Dirham statt 600. Andere Verhandlungen ergaben zum Beispiel 330 Dirham für drei Hosen statt 3 x 350 Startpreis, oder für zwei orientalisch verzierte Flaschen 200 Dirham bei Startpreis 350 für eine.
Auf dem Djamaa el Fna geht es ähnlich zu. Der große Platz bildet das Herz Marrakechs, ist von der UNESCO geschützt. Während sich tagsüber die Touristen tummeln, sind abends die Einheimischen in deutlicher Überzahl. Frische Köstlichkeiten aus den Garküchen. Märchenerzähler, Schlangenbeschwörer, Akrobaten. Ein Foto? Aber gern doch! Für 10 Dirham.
Frauen bieten Henna-Bemalungen nach Wunsch. Ich lehne mehrfach dankend ab. Doch einmal tritt eine noch dichter heran. Erst ein Kompliment über die Augenfarbe. Ja danke, gleichfalls. Dann schnappt sie meine Hand und fängt einfach mal an. Blöderweise habe ich gerade in jeder Hand ein volles Glas frisch gepreßten O-Saft, kann also nicht energisch genug wegziehen. Und sie ist echt schnell, nach fünf Sekunden schon meine halbe Hand verziert. Einfach „No“ und „Stop“ schreckt die Dame gar nicht. Erst als Hannes herbeispringt verwischt sie das halb fertige Blütenkunstwerk und zieht von Dannen.
Alles in allem also ein riesiges Gewusel. Die Gassen eng, immer noch ein Moped, das sich durchquetscht. Die Plätze vollgestopft mit Menschen. Der Vehrkehr das reinste Chaos. Straßenüberquerung? Einfach losgehen. Machen alle so. Die fahren schon um dich rum.
Aber: Es gefällt uns total gut. In Lärm und Enge entsteht trotzdem keine Hektik. Die Mentalität der Menschen ist faszinierend. Handel und Schlitzohrigkeit gehören irgendwie dazu. Ansonsten sind sie hier alle freundlich und neugierig. Und die Kinder sind unser großer Bonus. Katrin und Franz erzählen, ohne ihre Töchter war es auf vorherigen Reisen in Marokko ganz anders. Mit Familie ist man hier irgendwie mehr auf Augenhöhe mit den Menschen. Die Kinder werden ständig bestaunt. Man nimmt die kleinen Hände in die eigenen, streichelt Wangen und Haare. Dabei bleibt interessanterweise die Geschlechtertrennung bestehen. Die Mädchen werden von Frauen geherzt, unsere Jungs ausschießlich von Männern. Für die Kinder ist das ganz schön anstrengend. Von Fremden angefaßt zu werden geht auf Dauer auf die Nerven. Dazu tausend Geräusche, Gerüche und Farben, Dreck und Lärm. Matti schleppen wir am Abend schlafend ins Riad zurück. Die anderen drei schlafen im Moment des Kissenkontaktes.
Unser Riad, ein Hort der Stille, eine Oase.
Wir laufen einige günstige Unterkünfte ab. Liegen tun sie alle gut, mitten in der Medina. Unser Sonderwunsch: Wir wollen alle sechs in ein Zimmer und ein eigenes Klo mit Dusche. Immer hören wir „non probleme!“ in der Regel gepaart mit „mon ami“. Und immer stellt sich heraus, das Riad des Bruders/Vetters/Onkels hat doch nur 3-Bett-Zimmer. Für zusätzliche Matratzen ist kein Platz. Für 450 Dirham die Nacht können wir doch zwei Zimmer nehmen. Einer bietet uns einen 8-Betten-Schlafsaal, in dem sich schon zwei weitere Gäste ausgebreitet haben. Paßt doch. Nö! Wollen wir aber nicht.
Wir beschließen, die Preiskategorie zu wechseln. Zwischen 600 und 1200 Dirham (DZ mit Bad und Frühstück) wird im Reiseführer unter anderen das „Riad Alladin“ mit individuell eingerichteten Zimmern im Berber-Stil erwähnt. Also auf. Und … ein voller Erfolg. Die Zimmer sind super. Zusätzliches Bettenlager auf dem Boden? Kein Problem! Das Bad möcht` ich so zuhause auch. Im Innenhof frühstückt man unter Palmen. Auf der Dachterrasse kann man Störche beobachten. Hannes telefoniert kurz mit dem Manager, der schon am Telefon mit dem Preis runter geht, denn wir locken ja noch zwei weitere Gäste (Hauke und Paula) an. Während er sich auf den Weg zu uns macht, werden wir mit Tee und Gebäck bewirtet. So beziehen wir also die „Suite Serail“ und lassen es uns mal wieder richtig gut gehen.