Nach der glücklichen Bergung meines Kindle entschließen wir uns zu etwas Wagemut. Unser Buch empfielt, mindestens einen Pass im Hohen Atlas mal zu fahren und preist sogleich den Tizi-N-Test als landschaftlich schönsten aber gefährlichsten an. Für Wohnanhänger und große Wohnmobile soll die Strecke nicht geeignet sein. Sind wir ja nicht. Also los.
Die erste Etappe ist unspektakulär. Wir peilen das Bergdorf Asni zur Übernachtung an und treffen wie gewohnt bei Dunkelheit ein. Ein Mann kommt auf die Straße gerannt, will sofort zusteigen und uns seinen sehr schönen Campingplatz zeigen. Wir sind skeptisch, wurden mehrfach schon mit falschen Versprechungen über`s Ohr gehauen, entscheiden dann aber, ihm zu vertrauen. „Laß uns noch einen Versuch wagen. Wenn wir verarscht werden, vertrauen wir einfach keinem mehr.“ Nachdem der Typ einmal rum ist und sämtliche Türen gedrückt hat um einzusteigen, kapiert er endlich, daß wir ihn nicht reinlassen. Es stellt sich also neben Hannes` Tür auf`s Trittbrett und plappert los. Der Campingplatz ist ganz offiziell, ja bestimmt. Natürlich hat er eine Freundin in Deutschland, hier aber Frau mit vier Kindern. Geld mag er gar nicht. 40 Dirham für`s Übernachten will er aber trotzdem, nach kurzer Verhandlung sind wir bei 20 Dirham. Er kommt uns alkoholisiert vor. Die Fahrt geht durch das halbe Dorf, knapp zwischen Häusern hindurch, immer steiler bergan. Nach einigen Minuten liegt das letzte Haus hinter uns, vor uns Dunkelheit und eine Lehmpiste, die am Rand bedenklich bröckelt. Bisher kein Hinweisschild zum Campingplatz. Okay, Vertrauen verspielt. Wir drehen an einer äußerst ungemütlichen Stelle und lassen den Typen einfach stehen. Dann stellen wir uns neben ein Wohnmobil, das wir an der Hauptstraße gesehen haben. Komische Aktion … wir lassen in der Nacht alle Rolläden unten und den Zündschlüssel startbereit stecken. Am nächsten Morgen tauschen wir ein Paar sehr alte Adidas-Puschen und eine viertel volle Rumflasche (nicht unser Vorschlag) gegen zwei Steine mit glitzernden Kristallen. Das mit dem Alkohol sieht Allah wohl auch hier nicht so eng.
Die Fahrt geht weiter. Wir werden immer sprachloser, die Landschaft immer spektakulärer – die Straße allerdings auch. An der Nordseite des Hohen Atlas geht alles noch. Meistens ist sogar genug Platz für Gegenverkehr. Auf dem Pass angekommen treffen wir einen Deutschen aus Heidelberg. „Ihr habt ja Mut, mit diesem Auto hier hoch …“ Ich sage noch: „Och, bisher hatten wir eigentlich ein gutes Gefühl.“ Er antwortet: „Ja, ja, das wird da unten gleich anders.“ Und Recht hat er. Letztendlich fühle ich mich recht sicher, hab ja volles Vertrauen in Hannes` Fahrkünste. Der allerdings hat die Verantwortung und streckenweise recht weiche Knie. Auf der Südseite ist die Straße zum größten Teil unbefestigt, neben uns ein steiler Abgrund, teilweise bestimmt an die hundert Meter tief, auf der anderen Seite der nackte Fels, gern auch mal mit Überhang. Irgendwann sehen wir ein Stückchen entfernt drei auf uns zukommende Laster. Wir warten auf einer der wenigen Nischen und lassen sie passieren. Wie die das hier hinkriegen, wissen wir nicht. Ein Stück weiter ist ein kleiner Laden direkt neben einer Quelle. Wir füllen ein paar Kanister auf und Hannes fragt den Besitzer, ob die Straße noch lange so bleibt. Der ist ganz entspannt. „Wenn die Großen das schaffen, schaffst du mit dem Kleinen das auch.“ Das haben wir dann ja auch. Gelohnt hat es sich auf jeden Fall.
Um die Mittagszeit ist es in Taroudannt brütend heiß. In der Sonne hält man es gar nicht aus. Das Städtchen liegt in der Sous, der Ebene zwischen Hohem Atlas und Antiatlas. Wir kommen der Wüste spürbar näher. In der Umgebung leben vor allem Berber, Taroudannt aber ist stark arabisch geprägt. Laut Reiseführer sieht man in keiner anderen marokkanischen Stadt so viele verschleierte Frauen. Sämtliche Wohnmobilisten sind vor die Stadtmauer verbannt. Wir reihen uns hübsch ein. Hier läßt sich während unserer Schulzeit schön beobachten, wie die Rentner ein- und umparken, Satellitenschüsseln ausgerichtet werden und Omis im Trägertopp mit Pfiffi an der Leine den Parkplatz einmal hoch- und wieder runterflanieren. Ein Franzose dreht in voller Rennrad-Montur eine Runde mit seinem Rad, kommt nach etwa einer Stunde zurück und steht noch weitere 30 Minuten mit runtergezogenem Trikot-Einteiler in der Sonne. Die Marokkaner gucken verwirrt bis belustigt. Wir finden es total daneben. Kann man sich denn nicht ein kleines bißchen den lokalen Bedingungen anpassen? Oder hat er einfach nie einen Reiseführer in die Hand genommen? Man schämt sich fast, Tourist zu sein.
Taroudannt selbst ist dann eine kleine Überraschung. Die Wohnmobilisten, mit denen wir den Parkplatz teilen, sind scheinbar die einzigen weiteren Touristen hier – bei 200000 Einwohnern verschwindend. Wir mischen uns unter die Leute. Das Übliche folgt: neugierige Blicke, Getätschel der Kinder. Henni wird von zwei jugendlichen Mädchen(!) geküsst, Matti entkommt ihnen dank schneller Reaktion und Ausweichmaneuver. Frauen lächeln mir zu. Zwei Feuerwehrmänner sprechen uns an, haben unsere Feuerwehr auf dem Parkplatz gesehen. Ansonsten keine aufdringlichen Händler, kein „mon ami“, kein „Gucken kost` nix!“. Selbst die Pferdekutschen-Taxis geben sich mit einem einfachen „non, merci“ zufrieden. So entspannt und unbehelligt sind wir bislang nirgends durch die Stadt gegangen.